Willkommen auf „Kreativ gegen Depression“

Mein persönlicher Standpunkt

Am 3.11.2022 war ich als Betroffener und Selbsthilfeaktiver Gast der Sendung „Hauptsache gesund“. Weil alle Gespräche mit einem kurzen Einspieler eröffnet wurden, stand ich vor der Frage, kann ich mich als Depressionsbetroffener auf die Auswirkung der Krankheit konzentrieren und über Möglichkeiten der Selbsthilfe reden oder lass ich mich hinreißen, mich mit folgender Aussage des Einspielers auseinanderzusetzen:

„Wir hatten 1999 knapp 200 Therapeuten in Sachsen, haben mittlerweile über 1100 und allein das zeigt, es wird heute subjektiv ein größerer Mangel empfunden als 1999 und da muss man dann fragen, wo soll das hinführen. Irgendwann muss es mal reichen oder die Gesellschaft ist bereit zu sagen, Ok, dann wollen wir eben so viele Psychotherapeuten wie Hausärzte haben.“
Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen
Dr. med. Klaus Heckemann in der Sendung „Hauptsache gesund“ des MDR vom 03.11.2022

Nachzuhören ist die Aussage hier: Hauptsache gesund: Therapeutenmangel: Wie sich eine Betroffene wehrt | ARD Mediathek

Solche Aussagen sind kein Lösungsansatz, sondern Teil des Problems. Statt den Leidensweg der Betroffenen zu respektieren und beizutragen, dass sich dieser Weg verkürzt, die Betroffenen anzuerkennen und nicht zu stigmatisieren, polemisiert Herr Dr. Heckemann mit dieser Aussage gegen die Betroffenen. Ich stelle mir die Frage, ob er diese Antwort auch seiner Tochter geben würde (sofern er eine hat), wenn sie nach der Entbindung neun Monate auf einen Therapieplatz wegen postpartaler Depression warten muss, obwohl bekannt ist, dass die Person bereits Jahre zuvor wegen traumatischer Erlebnisse an Depressionen litt.

Kein Betroffener zweifelt die Zahl der zugelassenen Therapeuten an, aber es ist eben nicht nur die subjektive Wahrnehmung fehlender Therapieangebote, sondern eine Tatsache, dass die „Vergabe“ von Therapieplätzen ohne glückliche Umstände viel zu lange dauert. Zudem wird mit einer solchen Aussage suggeriert, dass die Zahl der Therapeuten bei unveränderter Anzahl von Diagnosen gestiegen sei. Dem ist aber nicht so! Bei Kindern und Jugendlichen gab es Steigerungen bis zum zehnfachen.

Bei der Suche nach einem Therapieplatz ist es für die Betroffenen schon eine extrem hohe Hürde, überhaupt anrufen zu können. Dabei muss man bei jedem Therapeuten, den man kontaktieren möchte, noch auf unterschiedliche Kontaktzeiten reagieren, was überhaupt nicht in die Situation passt, in der man für sich selbst Strukturen finden muss. Und Absagen führen dann dazu, dass viele Betroffene nach den ersten gescheiterten Versuchen der Kontaktaufnahme erst wieder Wochen brauchen, um eine neue Runde von Telefonaten zu führen.

Natürlich gibt es keine rein quantitative Auflösung des Knotens, sondern die Erhöhung von Therapiestunden muss mit einer effektiveren Zusammenführung von Betroffenen und Therapeuten einhergehen. Die Angebote könnten aus Kombinationen individueller, gruppenbezogener und selbsthilfeorientierter Angebote bestehen, je nach Grad der Schwere. Oft könnten meines Erachtens auch Sozialarbeiter in die Bewältigung einbezogen werden, weil gerade bei leichten Verläufen der soziale Kontakt zu anderen in der vertrauten Umgebung eine gute Begleitung sein könnte. Wichtig wäre jedoch, dass bei der Suche nach Lösungswegen nicht nur die ökonomische Sicht, sondern die Betroffenenperspektive vordergründig mitzusehen ist.

Vielleicht können wir dies zum Anlass für einen Dialog, einen runden Tisch aus Kassenärztlicher Vereinigung, Psychotherapeutenkammer, Krankenkassen, Betroffenenverbänden und Selbsthilfeaktiven nehmen. Ich wäre jedenfalls bereit.

Noch immer liegt auf der Diagnose Depression das Negativimage des „Unnormalen“. Doch Depression ist nicht die Krankheit des Einzelnen. Der Einzelne spiegelt in seiner Erkrankung nur die depressiv entarteten Züge in Wirtschaft und Gesellschaft. Egal welche Partei, welchen Arbeitgeberverband oder welche Gewerkschaft sie befragen und welche Interessen diese vertreten, sie alle kennen nur einen Lösungsweg „Wachstum“. Aber alles immer schneller, weiter, höher beschleunigt nur das Rennen im Hamsterrad. Der depressive Mensch muss lernen auf seinen Körper zu hören, sein Verhalten anzupassen, heraus aus dem Hamsterrad zu kommen. Wäre es nicht besser, wenn dies auch in Wirtschaft und Gesellschaft so wäre und wir damit Depressionen vorbeugen könnten?!

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